Sonntag, 11. Dezember 2022

Expertenmeinungen zum Fall

Auffallend ist, dass in der ganzen Blase der (teils sehr fragwürdigen) Verteidigung und Unterstützer eigentlich nur heisse Luft produziert wird. Aber auch wenn inhaltlich so rein gar nichts nachgewiesen werden konnte im Sinne einer Entlastung (man erinnere sich an gefälschte Pornobilder, an verpuffte Fahrtenschreiberskandale oder an verharmlosende Verkindlichungen), so war das im Rückblick erstaunlich erfolgreich. Dumpfe und mantraartig wiederholte Parolen haben die Stimmung in der Bevölkerung und die Wahrnehmung des Falles nachhaltig beeinflusst.

Alles, was wissenschaftlich und objektiv bei einer Entlastung helfen hätte können, wurde gemieden wie der Teufel das Weihwasser meidet: Ärzte wurden für das Gerichtsverfahren 2014 nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden, es gab keine Gegengutachten zu den bei Gericht 2003ff aufgerufenen Expertisen, das Gerichtsurteil 2014 wurde trotz postulierter Forderung nach Transparenz nicht veröffentlicht (Transparenz ist wohl aus Sicht der Unterstützer eine Einbahnstraße) und das Aktenmaterial wurde munter verteilt, allerdings nur in genehmen Ausschnitten und nur an ausgewähltes Publikum.

Wohltuend mutet es also an, wenn Experten sich ohne Scheuklappen über den Fall äußern. Personen, die gut ausgebildet sind, die jahrzehntelange Erfahrung haben und die sehr nahe an dem Fall Peggy dran waren und sind. Es ist leider so, dass sich aktive Ermittler nicht äußern dürfen. Ab und an finden sich aber (pensionierte) Personen, die sich dann doch äußern. Aus aktuellem Anlass und auch weil auf Frau Rödels Facebookseite wieder Kommentare zu lesen sind, die wegen der Äußerungen Strafanträge fordern, stellen wir nochmal zusammen, was Experten meinen.

Hier das, was wir an Beurteilungen des Falls finden konnten. Sollten wir etwas vergessen haben, dann schreibt das bitte über die Kommentarfunktion. Wir werden sehr gerne ergänzen.


Hans Ludwig Kröber, forensischer Psychiater


Quelle: mainwelle, 6.5.2014 (prozessbegleitend)

Der Berliner Psychiater Hans-Ludwig Kröber hat dabei den angeklagten Kulac erneut belastet.

Er führte aus, dessen Schilderungen beim Geständnis seien erlebnisorientiert und in Kernaussagen auch konstant. Kröber ergänzte, minderbegabten Menschen könne man keineswegs alles einreden und schon gar nicht lange Geschichten. Der Gutachter spielte damit auf die Einschätzung von Kulac-Unterstützern an, die davon ausgehen, dass dem geistig behinderten Mann das Geständnis von der Polizei suggeriert wurde. Kröber milderte sein Gutachten aber am Ende seiner Ausführungen noch ab. Wörtlich sagte er: "Es ist nicht auszuschließen, dass es zu einem aussagepsychologisch recht gutem aber insgesamt zu einem falschen Geständnis gekommen ist.“

Quelle: BR online Live-Ticker, 6.5.2014 (prozessbegleitend)

Hans-Ludwig Kröber kündigt eine etwa 50-minütige Aussage an. Er hält Ulvi Kulac für aussagetüchtig. Sein IQ dürfte Kröber zufolge zwischen 60 und 70 liegen. Laut Kröber besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass Kulacs Geständnis erlebnisbegründet war. Begründung: Kulac schilderte, Peggy sei auf einen Stein gestürzt und habe sich ein blutiges Knie zugezogen. Diese Szene kommt in Vernehmungen mehrmals zur Sprache, aufgebracht habe sie Kulac. Es sei nicht von vornherein unmöglich oder undenkbar, dass Kulac reale Erlebnisse in sein Geständnis integriert, auch wenn diese zu anderen Zeiten stattgefunden haben, schlussfolgert Kröber. Beim Widerruf des Geständnisses habe Kulac auch verneint, Peggy gefesselt und geknebelt zu haben. Das war ihm aber von den Polizisten gar nicht vorgehalten worden. Darauf angesprochen, habe Kulac geschwiegen. Kröbers Fazit: Zwar sei es denkbar, dass das Geständnis falsch war, dafür sprächen auch einige schwache Umstände. Im Gesamtzusammenhang fänden sich aber Argumente, die für einen realen Erlebnishintergrund sprächen.

Kröber gibt auf Nachfragen des Gerichts zu, dass es Ungereimtheiten in Kulacs Aussagen gibt, die für Außenstehende nur schwer nachvollziehbar sind. Warum soll Kulac, seine Unschuld angenommen, detailliert von einer Verfolgung Peggys samt Sturz berichten, wenn sich die anschließende Tötung des Mädchens gar nicht ereignet hat? Kröber hat dafür zwar wissenschaftlich fundierte Ansätze, gibt aber zu, dass es schwierig ist, Kulacs Aussagen zu bewerten. In zentralen Punkten seien seine Angaben aber unnötig ausführlich und daher als real und erlebt anzusehen, so Kröber.

Die Staatsanwältin fragt Kröber, wie seine Aussage nach einer "hohen Wahrscheinlichkeit" der Richtigkeit des Geständnisses anzusehen ist. Kröber antwortet sinngemäß, dass es viele Details und schlüssige Folgehandlungen enthält. Sollte sich Kulac all das ausgedacht haben, so wäre das laut Kröber zwar möglich, aber die unnötig umständlichere Variante. Die naheliegendste Erklärung sei, dass Ulvi Kulac seine Schilderungen aus dem Geständnis tatsächlich erlebt hat. Kurzum: Er hätte mehrfach die Möglichkeit gehabt, sich auf seine Unschuld zu berufen. Er tat es nicht, sondern widerrief das Geständnis erst Monate später. Wie glaubwürdig ist Kulacs Aussage, er habe lediglich gestanden, um seine Ruhe zu haben? Schließlich hat Kulac mehrfach gestanden, ausführlich ausgesagt und erst viel später widerrief er all das. Ein Polizist hat am Montag (05.05.14) korrekterweise angemerkt, dass Kulac nur das Mordgeständnis widerrufen habe, nicht aber den sexuellen Missbrauch. Laut Kröber kann Kulac auch katastrophale Ereignisse weitgehend unberührt schildern. Und ganz simpel ausgedrückt: Es sei bei den Vernehmungen angesichts seiner Minderbegabung für Ulvi Kulac immer einfacher gewesen, die Wahrheit zu sagen, anstatt sich in einem Lügengebilde zu verstricken, aus dem er nicht mehr herauskomme. Mehrere hartnäckige Nachfragen von Kulacs Verteidiger Michael Euler bricht das Gericht ab. Der Vorsitzende weist darauf hin, dass Kröber nur die Aussagepsychologie Kulacs beurteilen soll. Äußere Umstände und Logiklücken seien nicht Teil von Kröbers Auftrag. Euler lässt nicht locker: "Warum soll er (Kulac, d. Red.) das sagen?" - "Diese Frage können Sie immer stellen", kontert Kröber. Manche Dinge seien eben rational nicht nachzuvollziehen, führt Kröber aus. Dass auch Täter sich nicht an die Kleidung des Opfers erinnerten, sei nicht ungewöhnlich. Interessant: Kulacs Verteidiger hat die Ärzte seines Mandanten nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden. Das Gericht erfährt also nicht, wie die Mediziner seine Therapiefortschritte und sein derzeitiges Verhalten in der Forensischen Psychiatrie beurteilen. Das Gericht muss sich auf Akten und Aussagen von Gutachtern stützen, um Kulacs Verhalten und Glaubwürdigkeit einzuschätzen. Die Fragen der Verteidigung drehen sich im Kreis, doch Kulacs Anwälte sehen in den Ausführungen Kröbers eine offene Flanke.


Quelle: Stern CrimeNr. 02 (2015)
https://www.allmystery.de/themen/km79175-3560#id22616637

Mollath ist nicht der einzige Fall, bei dem Sie sich getäuscht haben sollen. Sie hielten das Geständnis von Ulvi Kulac ... für glaubwürdig. ...
Ich habe die Aussagetüchtigkeit ... begutachtet. Er ist geistig behindert, hat einen IQ von 67, das heißt, er kann kaum lesen, schreiben oder rechnen. Ulvi Kulac hat vor dem Verschwinden von Peggy mehrere Kinder sexuell missbraucht. Im Dorf wussten das alle. Die Erwachsenen haben die Kinder gewarnt: "Macht einen Bogen um Ulvi." Wegen dieser Missbräuche hat Herr Kulac in der Psychiatrie gesessen, keinen einzigen Tag wegen des Mordes an Peggy. Dass er Peggy am Donnerstag vor ihrem Verschwinden vergewaltigt hatte, hat er nicht widerrufen.

Deshalb muss Ulvi Kulac Peggy aber noch lange nicht umgebracht haben.
Ohne Zweifel sind viele Fragen offen, und so ein Geständnis allein sollte für ein Urteil nicht genügen. Es war aber erstaunlich, dass jemand ... einen Hergang so detailreich schildern konnte... einen Vorgang von 30 Minuten Dauer, passend in Zeit und Raum. Nachdem er sein Geständnis widerrufen hatte, habe ich mir von ihm noch einmal darlegen lassen, was er denn genau gestanden hat.

Warum?
Wenn man sie nicht wirklich erlebt hat ist es schwierig, komplexe Geschichten bei Wiederholung genau so wiederzugeben, wie man sie beim ersten Mal erzählt hat. Das gilt besonders für Menschen, die minderbegabt sind. ... Bei dieser Schilderung gab es eine verblüffend hohe Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Geständnis. Monate später im Gerichtssaal hat Herr Kulac ein drittes Mal dieses widerrufene Geständnis dargestellt, wiederum genauso detailliert wie bei ersten Mal - und das alles ohne schriftliche Aufzeichnungen. Wenn es die Erinnerung an etwas ist, das man erlebt hat, ist das nicht schwer. Wenn man nichts davon erlebt hat ... ist das sehr schwer ...


Josef Wilfling, ehem. Leiter der Münchner Mordkommission

Quelle: mdr "wir nach 4", 30.7.2016

"Normalerweise äußere ich mich nicht zu Fällen, wo ich nicht selber beteiligt war. In dem Fall mach ich eine Ausnahme, weil ich kenn keinen Kriminalfall, der mit so viel Verschwörungstheorien versehen wurde, es wurden Filme gedreht, mit unsäglichem Inhalt, es wurden Bücher geschrieben, es wird heute noch behauptet, das Mädchen sei irgendwo im Ausland oder in einem Bordell. Jetzt hat man die Leiche gefunden und zwar genau da, wo wir schon immer gesagt haben, "sie ist irgendwo da oben in diesem riesen Waldgebiet abgelegt." Das war von Anfang an, für mich jedenfalls, klar und für viele Ermittler und ich persönlich (das ist meine persönliche Meinung) glaube dass das Urteil des Landgerichtes Hof von 2004 richtig war. Dafür gibt es genügend Indizien und ich glaube, dass das Urteil vom Landgericht Bayreuth mit diesem Freispruch falsch war. Das ist meine feste Überzeugung und damit stehe ich auch nicht alleine.
...
Also ich kenne das Video mit seiner Rekonstruktion. Einer meiner Mitarbeiter war bei dieser SoKo 2 und insofern kenne ich den Fall eigentlich recht gut und erlaube mir deshalb, ein paar Worte dazu zu sagen. Ich halte die Aussage, die er dazu gemacht hat, dieses Geständnis für glaubwürdig und das ist ja das A und O -entweder man glaubt es oder man glaubt es nicht. Und ich glaube, das ist alles schlüssig und kann mir nicht vorstellen, und ich habe mir das Video immer wieder angesehen, dass er das, was er da erzählt, nicht wirklich erlebt hat. Das muss er erlebt haben, es gab keine Widersprüche, es ist alles schlüssig, es ist alles bündig. Er erklärt auch ganz genau, wo die Leiche verblieben ist und hat das auch genau beschrieben und das stimmt mit den Fakten überein. Und deshalb bin ich persönlich überzeugt, dass er der Täter war.


Georg Hornig, ehem. Richter

Quelle: Frankenpost, 27.7.2016

In Erinnerung wird aber vor allem der Prozess bleiben, bei dem 2004 der Lichtenberger Ulvi Kulac wegen des Mordes an der neunjährigen Peggy zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. 2014 wurde Kulac in einem Wiederaufnahmeverfahren vom Landgericht Bayreuth freigesprochen, weil "ein Tatnachweis nicht möglich war". Hornig macht deutlich, dass er zum Hofer Urteil steht. "Ich bin aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung überzeugt, dass die damalige Entscheidung richtig war", sagte Hornig im Gespräch mit unserer Zeitung. Dass Peggys Leiche inzwischen ganz in der Nähe ihres damaligen Wohnorts Lichtenberg entdeckt wurde, will er nicht kommentieren. 


Klaus Weich, ehem. Leiter der Polizeiinspektion Hof
Quelle: Frankenpost, 16.10.2022
Wie stehen Sie eigentlich zum Fall Peggy?
Für mich ist ganz klar, dass die beiden, die zuletzt immer wieder im Fokus standen, die Täter wren. Die Ermittlungen der Kriminalpolizei Bayreuth haben mich voll überzeugt. Aus meiner persönlichen Sicht sehe ich den Fall als geklärt.