Sonntag, 3. März 2024

Buchkritik

„Der Vermisstenfall "Peggy Knobloch".

Tatablaufhypothese und Lehren für zukünftige Ermittlungen“

 

Es ist eine neue Publikation erschienen, die in großer Anzahl empfohlen wird, wenn man die großen Suchmaschinen bedient und nach „Peggy Knobloch“ sucht.

Der Titel klingt interessant und die Einteilung in die Kategorie „Jura“ verspricht einiges.

Ob diese Arbeit hält, was sie verspricht, erfahren Sie in folgendem Blogbeitrag.

 

Einordnung der Arbeit

Fachrichtung


Die Plattform grin.com ordnet die Arbeit ein als „Hausarbeit“ im Bereich „Jura - Strafprozessrecht, Kriminologie, Strafvollzug“. Thalia spart sich eine Einordnung. Lehmanns schreibt dazu: „Studienarbeit aus dem Jahr 2023 im Fachbereich Jura - Strafprozessrecht, Kriminologie, Strafvollzug, Note: 15,0,“ und ordnet diese Arbeit ebenfalls in denselben Bereich der Rechtswissenschaften ein.


Die Autorin

Die Autorin wird lediglich mit Vor- und Nachnamen genannt. Universität, Studienfach und Semester, in dem die Studienarbeit verfasst wurde, bleiben unbekannt.


Art der Veröffentlichung

Die vorliegende Studienarbeit wurde bereits im Sommer 2023 bewertet, im Februar 2024 dann in den einschlägigen Plattformen veröffentlicht und zum Kauf angeboten.

Das Buch erhält man entweder als Taschenbuch oder als eBook. Die Preise auf den einzelnen Plattformen sind uneinheitlich.

Die ISBN-Nummer ist: ISBN-13: 978-3-96487-950-9 



Auszug aus den Bezugsquellen:

· Thalia

· Lehmanns 

· Medimops

· Amazon 


Umfang

In den verschiedenen Plattformen wird die Seitenzahl unterschiedlich angegeben, von 24 bis 37 Seiten.

Das uns vorliegende pdf-File enthält 27 Seiten, diese teilen sich wie folgt auf:
  • Seite 1: Titelseite
  • Seiten 2 und 3: Informationen zum Verlag und Hinweise zu Schutzrechten.
  • Seite 4: Deckblatt mit Titel und Namen der Autorin
  • Seite 5: Informationen zum Verlag und Links auf die Verlags-Plattformen und Social Media Auftritte
  • Seite 6: Übersichtsseite mit der Überschrift „Hausarbeit, Modul S13“ und dem Abgabedatum 28.02.2023
  • Seite 7: Inhaltsverzeichnis
  • Seite 8: Hinweis zur Verwendung des „generischen Maskulinum“
  • Seite 9: Abkürzungsverzeichnis
  • Seite 10: Einleitung
  • Seiten 11 bis 18: Kapitel „Erkenntnisse zum Vermisstenfall Peggy“
  • Seiten 19 bis 20: Kapitel „Kritik an der Polizeiarbeit“
  • Seite 23: Fazit
  • Seiten 24 bis 26: Literaturverzeichnis
  • Seite 27: Werbung des Verlags

Der inhaltliche Umfang beträgt also 14 Seiten.



Bis hierhin stellen sich schon etliche Fragen. Zum Beispiel: wie kann der komplexe Fall Peggy, dessen Ermittlungen sich über 20 Jahre erstreckten, auf so wenigen Seiten abgehandelt werden?

Aber die Fragen werden nur noch mehr, wenn man sich mit dieser Studienarbeit beschäftigt.


Die Quellen

Beginnen wir damit, zu schauen welche Quellen verwendet wurden. Eine Hausarbeit im Fach der Rechtswissenschaften zu erstellen – da meint man als Laie, die Studenten säßen im verstaubten Archiv und hätten Zugang zu Fachzeitschriften und eventuell zu Originalpolizeiakten, zumal die Ermittlungen zum Zeitpunkt der Studienarbeit bereits abgeschlossen waren. Ein laufendes Verfahren war damals kein Grund jedenfalls, Akteneinsicht verwehrt zu bekommen.

Umso erstaunlicher der Blick in das Quellenverzeichnis:

Von den 19 aufgelisteten Quellen enthalten nur 2 keinen Internetlink.

Eine der Ausnahmen ist das Buch von Lemmer/Jung „Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals. München: Knaur.“ Überhaupt taucht Christoph Lemmer im Literaturverzeichnis gleich 7 mal auf. Dazu kommen noch 3-mal Einzelfolgen der Höllental-Dokumentation von Marie Wilke. Weitere 3 Einträge gehen auf Onlineartikel von Spiegel, BR und tag24. Dann noch 1mal eine Publikation über das wissenschaftliche Gendern. 2 mal wird für eine jeweilige Begriffserklärung bzw. Themenvertiefung u.a. auf das BKA verwiesen.

Das Offiziellste an Quellen ist eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Bayreuth aus dem Jahr 2020, in der die Einstellung der Ermittlungen bekanntgegeben wurde.

Einsicht in Originalakten ist also Fehlanzeige, ebenso eine Auseinandersetzung mit der Vielzahl an offiziellen Bekanntmachungen der Ermittlungsbehörden.

Stattdessen eine hoch selektive Auswahl an teilweise höchst tendenziösen Quellen (über Lemmer sollten wir echt auch noch etwas sagen).

Diese frühe Analyse der verwendeten Quellen ist umso wichtiger, als sie bei der folgenden inhaltlichen Analyse eine wichtige Rolle spielt. Die Art der Quellen hat in der vorliegenden Arbeit deutlich abgefärbt auf den Tenor.


Der Inhalt

Teil 1: Die Chronologie bzw. die Erkenntnisse im Fall Peggy

Für die Vorgeschichte bezieht sich die Autorin fast ausschliesslich auf Informationen aus den Büchern und Podcasts von Christoph Lemmer und thematisiert die auffälligen Verhaltensweisen, die Peggy bereits vor ihrem Verschwinden an den Tag legte. Es ist naheliegend, dass diese Veränderungen bereits auf einen Sexuellen Missbrauch hindeuteten.

Der rote Mercedes

Große Bedeutung wird auf die vielen Zeugen gelegt, die das Mädchen am Tag ihres Verschwindens noch nach der letzten offiziellen Sichtung am Henri-Marteau-Platz gegen 13:24 Uhr gesehen haben wollen.
Bei der Aufzählung der Sichtungen in Bezug auf den roten Mercedes zeigt sich allerdings bereits, wie ungeprüft die Autorin die Informationen von Lemmer übernimmt.

So sagt sie:
  
Quelle: span style="font-size: x-small;">„Der Vermisstenfall "Peggy Knobloch". Tatablaufhypothese und
Lehren für zukünftige Ermittlungen“, Wassermann (2024)


Zunächst einmal waren es keine 5 Zeugen, die das Mädchen in das Auto haben einsteigen sehen (es waren zwei Jungs) und zu den Aussagen gehörte auch, dass das Mädchen wieder zurückgebracht worden und ausgestiegen sei.



Hierzu ein paar zeitnahe Informationen:

Netzzeitung.de, 11.05.2001

Peggy war zuletzt am 7. Mai gesehen worden. Sie soll Zeugen zufolge in ein Auto mit tschechischem Kennzeichen ein- und wenig später wieder ausgestiegen sein. Für Spekulationen, dass das Mädchen in die benachbarte Tschechische Republik verschleppt worden sein könnte, haben die Ermittler keine Bestätigung.

Frankenpost, 14.05.2001

"Immer wieder hat der Polizeisprecher betont, die kleine Peggy soll in das rote Auto mit tschechischem Kennzeichen erst ein- und dann wieder ausgestiegen sein. Doch am nächsten Tag muss er in einem Boulevard-Blatt lesen, Peggy sei erst aus- und dann wieder eingestiegen. So rum klingt's doch noch viel dramatischer, oder? Ein Rundfunksender lässt einfach die Hälfte weg: Peggy stieg in ein rotes Auto. Punkt. Dass sie kurz darauf auch wieder zurück gebracht worden sein soll, ist offenbar der Spannung der Geschichte abträglich."

Und noch ein wenig offizieller:



Es ist traurig, dass diese effekthascherischen Methoden trotz mehrfacher und zeitnaher Klarstellung von Lemmer noch für sein Buch bzw. seine Podcasts angewendet wurden. Noch nachdenklicher aber stimmt es, dass sie ohne weiteres Quellenstudium im Fach Jura übernommen wurden.

Dass diese vermeintlichen Sichtungen im Bereich der Bäckerei stattgefunden haben sollen, wo Peggy sich etwas gekauft hatte, was die Bäckereiverkäuferin sogar vor Gericht ausdrücklich nicht bestätigte, wir gar nicht thematisiert.

Abenteuerlich wird es nun, da die noch späteren Sichtungen thematisiert werden. Zwei davon scheinen für die Autorin sehr wichtig zu sein, denn sie werden ausdrücklich erwähnt:

Die erste ist die Sichtung eines Mädchenkörpers im Wald bei Helmbrechts einige Tage nach Peggys Verschwinden, wo trotz zügiger Überprüfung durch die Polizei nichts gefunden worden ist. Die zweite ist der angebliche Anruf Peggy bei ihrer Freundin in Berlin drei Wochen später. Nicht nur konnte hier keinerlei Ermittlungsergebnis verzeichnet werden, der Skelettfund im Jahr 2016 sollte eigentlich klar dagegen sprechen, dass das Mädchen noch so lange am Leben war.


Die Tatverdächtigen


Die Autorin erwähnt Ermittlungen gegen folgende Personen:

· Erhan Ü., den Stiefvater von Peggy
Hier spricht die Autorin, dass Misshandlungen gegen Peggy im Raum standen. Ünal soll von Peggys Mutter betrogen worden sein und der daraus resultierende verletzte Stolz hätte ein Motiv sein können.

· Ulvi K., der mehrfach Kinder sexuell missbraucht hatte
dessen Beschreibung endet in der Studienarbeit mit dem Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren 2014 endet.

· Holger E., der damals 17jährige Bruder des Nachbarn, der in Halle lebte
Ihm konnte 2001 nichts nachgewiesen werden und auch eine erneute Überprüfung 2012ff ergab nichts, auch wenn er in anderen Strafverfahren wegen Sexuellem Missbrauch verurteilt wurde.

· Jens B., der Nachbar
Er kam durch widersprüchliche Alibi-Aussagen 2012 unter Verdacht. Es wird zu Recht klargestellt, dass es außer diesen Widersprüchen keine Hinweise darauf gibt „dass er etwas mit dem Fall zu tun haben könnte“

· Robert E., ein einschlägig vorbestrafter Lichtenberger
Die Autorin weist darauf hin, dass der Verdacht gegen ihn im Fall Peggy nicht bestätigt werden konnte.

· Manuel S., ein damals 24jähriger Lichternberger und Freund von Ulvi K.
Er war schon früh in den Akten aufgetaucht, weil Ulvi K. ihn in seinen eigenen Aussagen beschuldigt hatte, die Leiche entsorgt zu haben. Die Autorin weist darauf hin, dass „die Ermittlungen gegen ihn am 16.10.2020 eingestellt“ wurden
 
Hinweis: In der Publikation sind bis auf Jens B. und Robert E. sämtliche Personen mit Vor- und Nachnamen genannt. Auch das scheint merkwürdig. Die Nennung des vollen Namens ist weder nötig noch richtig. Die unterschiedliche Handhabung ergibt zudem keinen ersichtlichen Sinn.

Teil 2: Tatablaufhypothese

Die Autorin versucht sich ernsthaft an einer Tatablaufhypothese. Das, ohne klarzumachen, welche Befähigung sie dafür hat. Während die Ermittlungen eine Fallanalyse immer dann erstellen, wenn man noch herausfinden muss, was genau geschehen ist, wird hier bereits eine konkrete Person benannt.

Aber zunächst mal, was versteht man unter eine Tatablaufhypothese? Ist das eine selbsterdachte spekulative Ablaufreihenfolge der Geschehnisse? Oder ist dies vergleichbar mit einer Fallanalyse der Ermittler?


Das BKA erläutert eine Fallanalyse folgendermaßen:



BKA.de, Fallanalysen im Bereich der Tötungsdelikte und der sexuell assoziierten Gewaltdelikte

Bei der deutschen Polizei werden alle Fallanalysen in Teamarbeit durchgeführt. In einem Fallanalyse Team arbeiten mindestens vier polizeiliche Fallanalytiker/innen, die dafür speziell ausgesucht und ausgebildet wurden. Zusätzlich können auch Sachbearbeitende der ermittelnden Polizeidienststelle sowie externe Fachleute wie Rechtsmediziner/innen oder Psychologen/innen hinzugezogen werden. Durch die Teamarbeit wird die Qualität der Analyseergebnisse optimiert.

Als Basis für die Fallanalyse dienen ausschließlich objektive oder gesicherte Falldaten sowie Informationen zum Opfer. Subjektive Daten können ggfs. auch berücksichtigt werden, müssen aber zwingend kritisch geprüft werden. Das Fallanalyse-Team besichtigt in der Regel den Tatort und die sonstigen relevanten Handlungsorte des Delikts. Auf dieser Basis wird der Ablauf der Tat Schritt für Schritt rekonstruiert und die Tatsequenzen in eine chronologische Ordnung gebracht. Nach der Rekonstruktion des Tatgeschehens wird das Verhalten des Täters eingehend spezifiziert, d.h. es wird geprüft, in welcher Weise die Individualität des Täters den jeweiligen Fall geprägt hat.

In einem weiteren Schritt wird der Fall als Ganzes charakterisiert. Handelt es sich mehr um eine geplante oder um eine spontane Tat oder gab es diesbezüglich vermischte Phasen? Welche Kriterien waren für die Opfer-, Tatzeit- bzw. Tatortauswahl maßgeblich? Und: Gab es besondere, vielleicht sogar außergewöhnliche Charakteristika im Fall? (Beispiel: Wollte der Täter die Tat vertuschen und seine Spuren verwischen? Oder wollte er sogar ein anderes Tatmotiv vortäuschen?)

Aufbauend auf diesen Bewertungen werden Ableitungen zum Täter getroffen und Hinweise für die ermittelnde Polizeidienststelle generiert, die dazu dienen, die Ermittlungs- und Fahndungsmaßnahmen zu priorisieren und sie im weiteren Verlauf zu ökonomisieren. Die Erstellung eines Täterprofils ist kein zwingend folgender Arbeitsschritt nach einer Tatrekonstruktion. Mittels der Täterprofilerstellung wird ein unbekannter (!) Täter hinsichtlich seiner Verhaltensmerkmale so beschrieben, dass er bei der weiteren Ermittlungsarbeit von anderen Personen erkennbar unterschieden werden kann. Das erarbeitete Täterprofil entspricht eher einer Einschätzung zur Persönlichkeit des möglichen Täters und kann somit auf mehrere Menschen zutreffen.


Der Begriff der Tatablaufhypothese wird erklärt:


Karteikarte.com
Unter TAH versteht man die Frage:

Was ist hier passiert, bzw. was könnte hier passiert sein? Gedankliche Reproduktion des Tatgeschehens unter Einbezug der am TO vorgefundenen Gesamtsituation.
Entscheidende Grundlage für alle weitere n fallspezifisch zu treffenden Maßnahmen




Es ist also durchaus angebracht, hier den weniger strengen Begriff „Tatablaufhypothese“ zu verwenden. Der Fehler besteht meiner Ansicht allerdings in der suggerierten Seriosität und Professionalität sowie in der Vorwegnahme eines konkreten Verdächtigen, der laut Polizei nicht (mehr) zu den Tatverdächtigen zählt und zu dem es dutzende Kontra-Argumente gibt.

Aber was sagt die Autorin konkret in ihre Tatablaufhypothese? Warum wählt sie Holger E. aus?

 

Quelle: „Der Vermisstenfall "Peggy Knobloch". Tatablaufhypothese und
Lehren für zukünftige Ermittlungen“, Wassermann (2024)


Ja, Holger E. ist pädophil. Wie Ulvi K. und Robert E. auch.
Ja, Holger E. sagte die Unwahrheit. Wie Ulvi K. und Manuel S. auch.
Ja, Holger E. hatte laut eigener Aussage eine intime Beziehung zu Peggy. Sie hätten sich geküsst. Ulvi K. sagte, er habe Peggy vergewaltigt.

Was also bewegt die Autorin, genau Holger E. für eine Tatablaufhypothese als Täter auszuwählen? Weil bei ihm so vieles zusammenkommt?
Suggeriert sie damit nicht, den Täter „entlarvt“ zu haben?

 

Details vom Tag des Verschwindens

Es verwundert, wie die Autorin hier ohne sprachliche Relativierung und ohne sich auf eine Quelle zu beziehen, Sätze wie den folgenden hier bringt. Es gibt keinerlei Erläuterung des Begriffs der Tatablaufhypothese und wie er in der vorliegenden Arbeit verwendet wird. Auch wird nicht klargestellt, dass das Folgende sprachlich nicht ausdrücklich als Gedankenspiel dargestellt wird, was es wahrscheinlich eigentlich sein sollte.
Stattdessen findet der Leser das:

 

Quelle: „Der Vermisstenfall "Peggy Knobloch". Tatablaufhypothese und
Lehren für zukünftige Ermittlungen“, Wassermann (2024)


Wer dieses Mädchen gewesen sein soll, bleibt ebenso unbeantwortet wie die enorm lange Fahrzeit, die es damals kostete, um ohne Autobahn von Halle nach Lichtenberg zu fahren.
Aber es geht noch weiter:
 

Quelle: „Der Vermisstenfall "Peggy Knobloch". Tatablaufhypothese und
Lehren für zukünftige Ermittlungen“, Wassermann (
2024)

 

Was passierte mit dem begleitenden Mädchen? Was ist mit Holger E.‘s Alibi, der abends wieder in Halle war?
 

Quelle: „Der Vermisstenfall "Peggy Knobloch". Tatablaufhypothese und
Lehren für zukünftige Ermittlungen“, Wassermann (2024)



Auch hier wieder: es gibt keine Erklärung, wie der 17jährige ohne Vernetzung in Lichtenberg das Mädchen mehrere Tage am Leben erhalte, wo er sie missbraucht haben soll und wie er schliesslich trotz immensem Polizeiaufgebot mit einer Leiche nach Rodacherbrunn gefahren sein soll.

Aber dann kommt sie doch noch, die Relativierung. Die oben genannten Beschreibungen sind keine Tatsachenbehauptungen gegen einen namentlich genannten Mann, sondern:

Quelle: „Der Vermisstenfall "Peggy Knobloch". Tatablaufhypothese und
Lehren für zukünftige Ermittlungen“, Wassermann (224)0


 

Damit wird dann zum 3. Teil der Arbeit übergeleitet.


Teil 3: Ermittlungsfehler bzw. Kritik an der Polizeiarbeit


Hier sind die wichtigsten Fehler, die die Autorin der Polizei vorwirft:
•    Keine Hausdurchsuchung beim leiblichen Vater in der Nacht des Verschwindens
•    Vorübergehende Verwendung eines alten Fotos
•    Letzte gesicherte Sichtung am Henri-Marteau-Platz entgegen den späteren Sichtungen
•    Verwechslung der Sichtung Peggys im Carlsgrüner Weg nicht sicher
•    Aktives „Ausspielen“ der beiden Kinderzeugen wegen deren Aussagen, Peggy noch am Nachmittag im Bereich der Bäckerei gesehen zu haben
•    Falsche Behauptung gegenüber Ulvi K., auf seiner Kleidung sei Blut gefunden worden
•    Körperliche Bedrängung von Ulvi K. bei den Vernehmungen und unlauteres Ausüben von Druck
•    Geständnis Ulvi K.s ohne Tonbandgerät und ohne Anwalt
•    Versprechungen gegenüber dem V-Mann Peter H. gegen ein Geständnis von Ulvi K.
•    Verwehrung eines anwaltlichen Beistands von Manuel S.
•    Einstellung der Ermittlungen gegen Holger E. nach dem Geständnis von Ulvi K.
•    Trugspur (Bönhardt) durch unsauberes Arbeiten

Fazit

Die Autorin schreibt in der Einleitung zu Teil 3 „Folgende Darstellungen können als Grundlage für die verbesserte Bearbeitung von Vermisstenfällen genutzt werden“. Worin diese „verbesserte Bearbeitung von Vermisstenfällen“ besteht wird nicht erläutert. Bei so einem mächtigen Satz erwartet der Leser einen konkreten Maßnahmenkatalog gemäß dem Muster „Fehler  Methode zur Vermeidung“.
Zudem sind die aufgezeigten Fehler weder bewertet in ihrer Wichtigkeit noch wurden sie anhand Originalquellen daraufhin überprüft, ob sie tatsächlich so stattgefunden haben. Sie wurden 1:1 von Lemmer übernommen, der bereits seit 2010 den Ermittlern Vorwürfe macht und mit diesem Tenor seine Bücher und Podcasts vermarktet. Dabei wird oft übersehen, dass er keine Einsicht in den vollständigen Aktenbestand hatte, auch weil er seine ersten Veröffentlichungen noch mitten in einem ungeklärten bzw. wieder bearbeiteten Vermisstenfall hinein herausbrachte. Die Autorin verpasste die Gelegenheit, kritisch auch Lemmer zu hinterfragen.

Dass sie eine Tatablaufhypothese (deren Begriff sie im Teil 3 gleichbedeutend mit Fallanalyse verwendet) aufstellt und dabei einen vollständigen Klarnamen nennt von einem Mann, gegen den nicht ermittelt wird, ist fraglich. Wäre diese Hausarbeit in der Juristischen Fakultät verblieben mag das ja noch angehen. Aber die Vermarktung auf so vielen Plattformen macht diesen Sachverhalt schlimm.
Während das BKA für Fallanalysen genaue Expertisen abruft und konkrete Erstellungsschritte inklusive Hinzuziehung sämtlicher verfügbarer Informationsquellen (Akten, Aussagen, Tatortbegehung, Ergebnisse der Gerichtsmedizin und Spurensicherung etc.) begnügt sich die Autorin mit Podcasts und einem Taschenbuch. Eine kritische Auseinandersetzung mit Informationen und Quellen findet nicht statt.
Ohne offizielle Quellen und ohne entsprechende Expertise (Jurastudenten sind keine Fallanalytiker und haben in der Regel keine polizeiliche Ausbildung) sich an diese 3 großen Themen zu wagen (Chronologie, Fallanalyse und Kritik an der Polizei) scheint überheblich.
Aus dieser mehr als oberflächlichen „Analyse“ auch noch generell Verbesserungsmöglichkeiten für die Polizei ableiten zu wollen, ist nicht zu beschreiben.
Ermittlern, die über 20 Jahre immer wieder und mit vollem Einsatz versucht haben, Licht in das Verschwinden des kleinen Mädchens zu bringen, pauschal Vorwürfe zu machen und das ohne jeglichen eigenen Prüfungsaufwand dieser Vorwürfe – findet Ihr als Leser das auch falsch?

Diese Arbeit wurde mit 15 Punkten bewertet. Nun kennen wir ohne die Universität und das Studienfach auch nicht die Notenskala. Wahrscheinlich waren 15 oder 18 Punkte die Maximalpunktzahl.
Ob sehr gut oder gut scheint hinsichtlich der einfachen Internetrecherche, der Knappheit der Arbeit, der nicht vorhandenen Quellenkompetenz und der übersteigerten Formulierung des Ziels deutlich zu hoch gegriffen.
Interessant wären hier wirklich die Kriterien, mit denen so etwas bewertet wird.
Wir als Leser können nur anmahnen, kein Geld hierfür auszugeben.

Wer die Arbeit dennoch gekauft hat ist ermutigt, hier seine Meinung darüber in den Kommentaren zu schreiben. Sind wir zu kritisch?