Der Prozess
Ab Seite 73 wird der Prozess 2003-2004 „dokumentiert“.
Auftakt bildet ein Abschnitt mit
persönlich-freundschaftlicher Note, in dem Norbert R., einem Weggefährten der
Autorin besonderer Mut attestiert wird, weil er „damals“ (genauer sind die
Zeitangaben nicht) ein T-Shirt mit der Aufschrift „Bestechlich und Korrupt“
trug. Das Beweisfoto wurde gleich mitgeliefert, selbstredend ohne Beschriftung
und Nennung des Fotografen.
Im zweiten Abschnitt auf derselben Seite geht es um eine
kollektive Empörung über ein „Pauschalurteil über alle Bürger, die in
Lichtenberg lebten“. Zugrunde liegt ein vermeintlicher Satz des Verteidigers
von Frau Knobloch. Er hatte von einer „Gefühlskälte, die an diesem Ort immer
wieder sichtbar wurde, wie tief muss man sinken, um eine solche
Toleranzschwelle zu erreichen“ gesprochen. Unklar bleibt, bei welcher
Gelegenheit und in welchem Zusammenhang dieser Satz fiel. Die Autorin jedenfalls
spricht von einer Hetzkampagne und unterstellt dem Anwalt, „nie die Akten
gelesen, sondern einfach nur in das Horn der Staatsanwaltschaft „geblasen“ zu
haben".
Seite 74 beginnt mit einer Reihe an Vorwürfen an das
Gericht. So habe dieses allein Peggys Mutter geglaubt und nicht den Zeugen, die wahrheitsgemäss ausgesagt hätten. Das Gericht hätte nichts hinterfragt oder in
Zweifel gezogen. Das Gericht hätte überdies bewusst nicht alle Entlastungszeugen
eingeladen. Als Beispiel einer „Beweismittel-Unterschlagung“ nennt die Autorin
den Roller von Peggy, der im Gericht nicht gezeigt wurde. An ihm habe sich ein
Widerspruch in den Aussagen eines Zeugen und der Mutter von Peggy ergeben und
nur weil der Roller nicht vorgezeigt wurde, habe man die Aussage des Zeugen für
„nicht glaubhaft“ erklärt.
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 75
Den monatelangen Prozess handelt das Buch auf ganzen 3
Seiten ab. Kein Wort über die mitverhandelten Missbräuche, kein Wort über die
weggebrochenen Alibizeugen, kein Wort über die überraschende Entscheidung von
Ulvi K.‘s Familie, nicht mehr vor Gericht auszusagen, nachdem sich Widersprüche
ergeben haben.
Urteil/Zeugenaussagen/Motiv
Die nächsten Kapitel werden aufgrund desselben Tenors hier zusammengefasst.
Die Autorin zeigt im folgenden Schnelldurchlauf ihre Kritikpunkte am Urteil
auf:
- 65 Zeugen, die Ulvi K. zu dieser Zeit nicht auf
der Bank am Henri-Marteau-Platz haben sitzen sehen
- Widerspruch, weil Ulvi K. eine ganz andere
Rentnerbank erwähnt hatte, ein ganzes Stück weit weg am Sieleinsweg
- Zeitliche Diskrepanzen, die sich aus der
privaten Auswertung des Fahrtenschreibers des Schulbusses ergaben
- Das Ignorieren von Zeugen, die Peggy am
Nachmittag und Abend noch gesehen haben wollen
- Das Ignorieren von einer jüngeren Freundin, die Peggys
Mutter erwähnt habe und die die Autorin mit dem Mädchen gleichsetzt, das einige
Kinder am Nachmittag des Verschwindens in Peggys Begleitung gesehen haben
wollen
- Vernehmungen in Abwesenheit des Rechtsbeistandes
- Übertölpelnde Vernehmungsmethoden bei den Befragungen
von Ulvi K.
- Zustandekommen der „Videoaufzeichnung des
angeblichen Tathergangs“ ohne Zustimmung des Verteidigers
- Das Ignorieren von Anhaltspunkten, die auf
Peggys eigene Familie hinwiesen, die Grund gehabt hätte, aufgrund eines
Missbrauchs verschwinden zu lassen
- Kein Beweis für einen Sexuellen Missbrauch
Peggys am 3. Mai 2001 durch Ulvi K.
- Zufügen von körperlichem Schmerz im Bereich der
Schulter durch einen Ermittler
- Anschreien des Verdächtigen während der
Vernehmung
- Vernehmung während der Fahrt zum Verhör und
damit ohne anwesenden Rechtsbeistand
- Berücksichtigung der Aussagen von Peggys Mutter
und Frau L., beide unglaubwürdig
- „enge Kooperation [Anm.: der Zeuginnen] mit den
Ermittlungsbeamten der Soko II“
- Beeinflussung des Kinderzeugen Florian L. durch
die Ermittler
Gerade der letzte Zeuge nimmt viel Raum in dem Kapitel ein.
Florians Mutter wird als skrupellos und mit blindem Belastungseifer hingestellt:
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 87
Es geht weiter über eine Therapie des Jungens, die nichts
mit dem Fall Peggy, dafür aber mit innerfamiliären Problemen zu tun hatte. Zur
Opferrente, die er zeitweise vom Weissen Ring bekam, sagt die Autorin:
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 90
Soweit die Kapitel, die den Sachstand von 2004 betreffen. Die
inhaltliche und chronologische Folge wird dem Leser nicht klar, denn nach den
Kapiteln „Prozess“ und „Urteil“ werden erst die inhaltlichen (vermeintlichen)
Fehler von beidem benannt.
Vieles wird in diesen 4 Kapiteln nicht erwähnt. Jegliches
belastende Element (denn immerhin erging ein Urteil wegen Mordes) fehlt.
Dass es 27 Verhandlungstage waren, in denen das Gericht nach
der Wahrheit suchte und etliche Zeugen und Gutachter anhörte, wird
verschwiegen. Ebenso jedes Detail aus der Verhandlung und nicht einmal der
genaue Wortlaut der Verurteilung wird genannt. Dass Ulvi K. wegen Mordes verurteilt
wurde bleibt unerwähnt. Ebenso die gerichtliche Feststellung einer ganzen Reihe
von sexuellen Übergriffen gegen mehrere Kinder und gegen Peggy, die wegen nicht
auszuschliessender Schuldunfähigkeit von Ulvi K. in diesem Bereich in einen
diesbezüglichen Freispruch mündete.
Wiederaufnahmeverfahren
Einige Jahre, die zwischen dem 1. Urteil und dem Bestreben
um eine Wiederaufnahme des Verfahrens liegen, werden nun übersprungen.
Die Autorin spricht aus ihrer persönlichen Warte an, dass die
Anwaltskosten nur für das Wiederaufnahmeverfahren und nicht für das
vorgerichtliche Verfahren übernommen wurden. Um diese Kosten zu stemmen sei
sie betteln gegangen.
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 92
Aus der folgenden Episode sollte sich dann tatsächlich der 1
von 2 Gründen für die spätere Wiederaufnahme ergeben.
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 92
Im Podcast von Antenne Bayern zu dem Fall präzisierte RA Euler,
dass er dem Patienten Peter H. eine Nachricht hinterliess, sinngemäss sollte es
sich für Herrn H. lohnen, würde er sich bei RA Euler melden.
Genau so trat es auch ein: Peter H. gab in einer „eidesstattlichen
Versicherung“ an, dass er zu seinen belastenden Aussagen gegen Ulvi K. animiert
wurde.
Neu für die Öffentlichkeit dürfte folgendes sein, auch wenn
nicht klar ist, woher diese Aussage stammt:
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 94
Über die Genehmigung des Wiederaufnahmeverfahrens schreibt
die Autorin:
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 96
Es ist wirklich schwierig, bei dieser Fülle an Material die
Rosinen herauszupicken.
Was der Autorin richtig vorkommt und was sie selbst
euphorisch werden lässt, mutet mir persönlich nicht sehr sympathisch an. So
widmet sich ein ganzer Abschnitt in dem Buch nun über mediale Erfolge.
Auch als das Wiederaufnahmeverfahren startet ist die Rolle
der Autorin offensichtlich wichtig:
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 98
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 99
Es ist ein Vorrecht der Erfolgreichen, ihren eigenen Erfolg
auch zu thematisieren. Die Freude über Applaus im Gerichtssaal aber irritiert.
Das gesamte Verfahren wird auf 1,5 Seiten abgehandelt. Wie
schnell hier Vorwürfe an das Gericht in Lob auf den Freispruch übergehen lässt
sich nur zeigen, indem der Abschnitt über den Prozess gezeigt wird. Ab Seite
100 schliesst sich schon der Sektempfang zur Feier des Freispruchs an.
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 99
Die nächsten Kapitel beschäftigen sich mit der Entlassung
Ulvi K.s aus der Forensik (ab Seite 105)
und über das, was mit Peggy geschah (ab Seite 111). Dabei stellt die Autorin
die Rolle der „Unterstützergruppe“ hervor, die eine „erneute Befragung von
Peggys Mutter, die Menschen beschimpft, die nach ihrer Tochter suchen“
verlangte. Die Vorwürfe gegen sie werden weitergeführt so zum Beispiel wegen „vielfachen
falschen Angaben …, wodurch dann letztendlich Ulvi belastet und als Täter verurteilt
werden konnte.“
Im Folgenden wird der Leichenfund thematisiert und damit
verbundene Zweifel. Zeugen, die Peggy am Tag nach ihrem Verschwinden in
Lichtenberg gesehen haben wollen, werden zitiert. Ebenso die vermeintlichen Sichtungen
des Mädchens in der Türkei, die DNA-Trugspur, die in Richtung NSU zeigte, …
und wieder Vorwürfe gegen Peggys Mutter:
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 121
Ist irgendeinem der Leser des Buches oder dieses Blogs klar,
was diese immer wiederkehrenden Vorwürfe an die Mutter eines Mordopfers in
einer Dokumentation eines Kriminalfalls zu suchen haben?
Das Finale des Buchs leiten die Ermittlungen gegen Manuel S.
ein, der zwar Ulvi K. belastete, den die Autorin aber wie folgt beschreibt:
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 124
Der ruhige, sympathische Kerl mit Vorliebe für Bier belastet
also Ulvi K. und macht damit eine Geschichte rund, die schon seit Herbst 2001
in den Geständnissen von Ulvi K. ihren Anfang nahm. Denn dieser wiederum hatte
Manuel S. als Verbringer der Leiche benannt.
Ist dieses positive Leumundszeugnis für Jemanden, der den
eigenen Schutzbefohlenen des Mordes belastet, glaubwürdig?
Weiter geht es mit der Abhöraktion während der damals noch
laufenden Ermittlungen. Von dieser war die Autorin aber auch ihr Mann und viele
ihrer Kontakte betroffen.
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 129
Vielleicht ein schönes Schlusswort für diese Buchkritik. Der
geneigte Leser hätte sich sicherlich mehr „knallharte Fakten“ gewünscht.
Fazit
Wir haben uns die Mühe gemacht, den Teil über Peggy Knobloch,
zu lesen und zu analysieren.
Form und Inhalt des Buches legen nahe, dass es vor der
Veröffentlichung keine Redaktion gab:
- Die Verwendung unterschiedlichster Schriftbilder
sowie fehlende Bildbeschreibungen machen die Orientierung schwer.
- Unklare Kapitelunterteilung erschweren die
Orientierung
- Fehlende Quellenangaben werten die präsentierten
Inhalte ab
Verprechen des Buchs:
Das Buch sollte als Dokumentation nachweisen, dass in
Deutschland systematisch Unschuldige weggesperrt werden. Dieses Ziel wurde
unserer Meinung nach nicht erfüllt.
Eine Dokumentation zeichnet sich durch die objektive Gegenüberstellung vollständiger Informationen aus,
deren Bewertung aufgrund von nachvollziehbaren
Kriterien erfolgt.
- Die Ichform, in der weite Teile des Buchs
erzählt sind, gibt den Inhalten gar keine Chance, neutral präsentiert zu
werden. Die Entscheidung für diese Erzählform ist kontraproduktiv.
- Jemand, der weitgehend vollständige Akteneinsicht
hat(te) und der den Mut fasst, Akten in einem Buch zu veröffentlichen, hätte
diesen Schritt in aller Konsequenz machen müssen. Akten nicht nur satzweise zu zeigen,
mit vollständiger Beschreibung wie Ortangabe, Zeitstempel, Namen. Dieses
Stückwerk verwirrt und ist nicht überzeugend. Es hinterlässt Fragezeichen.
- Mit dem in einem Buch verfügbaren Platz wäre es
ein Leichtes gewesen, einzelne Sachverhalte gründlich und vollständig zu
beleuchten. Das wurde nicht gemacht, stattdessen ging es im Galopp durch die
subjektiv wichtigen Sachverhalte.
- Das Weglassen von Informationen, die in der Öffentlichkeit
bestens bekannt sind, riskiert die Glaubwürdigkeit einer meinungsbildenden „Dokumentation“;
wenn nur unerwünschte Informationen weggelassen werden, dann ist der
Überzeugungswert gering. Hier wird dem Leser die Intelligenz abgesprochen, auch
kritische Sachverhalte einschätzen zu können. Vielmehr soll der Leser im
Strudel der Argumente eingesogen werden.
- Die Bewertungsmaßstäbe der einzelnen
Ermittlungsergebnisse und Zeugenaussagen bleiben im Dunkeln; warum manches als
glaubwürdig, wieder anderes als falsch bewertet wird ist unklar. So wird es versäumt,
klare Nachweise zu führen, warum das eine gilt, das andere nicht. Als
gemeinsamer Nenner der Bewertungen ist lediglich die Tonart festzustellen: Belastendes
gegen Ulvi K. wird tendenziell negiert, Entlastendes verstärkt wahrgenommen.
Die Schwarz-Weiß-Sicht verhindert, dass der Leser das Gefühl
einer objektiven Darstellung bekommt. Dabei wäre in diesem Fall eine kritische
Auseinandersetzung so leicht gewesen. Die Unschuld Ulvi K.s bzgl. des Mordes an
Peggy muss nicht seiner Schuld bzgl. der Missbräuche entgegenstehen.
Das Feuerwerk an Vorwürfen gegen Peggys Mutter, ihre
Familie, gegen Zeugen, Ermittler, Staatsanwaltschaft, Gutachter, das Gericht
usw. ist beeindruckend. Kein einziger dieser Vorwürfe wird zufriedenstellend
erläutert und nachgewiesen.
Vieles wirkt unnötig wie die Frage, ob Peggy sich
vegetarisch ernährte oder ob ihr Spielfreund von damals Opferrente bezog.
Souverän ist anders.
Das Buch ist eine persönliche Abrechnung, eine Art Tagebuch
mit dem Wunsch, den Leser auf seine Seite zu ziehen. Das mag gelingen, wenn der
Leser schon der Meinung ist, dass der Rechtsstaat zugunsten von wirklichen
Tätern Unschuldige verurteilt. Mit einem bereits vorhandenen Misstrauen gegen
Behörden könnte die Leichtigkeit, mit der über Ungereimtheiten und Lücken
hinweggegangen wird, überzeugend wirken. Jemanden, der den Fall schon kennt,
wird die Autorin schwerlich in seiner Einschätzung beeinflussen können. Der,
der es ähnlich sieht wie sie, wird sich bestärkt fühlen, die anderen bleiben
mit den schon vorhandenen Zweifeln zurück.
Neues, das einen Aha-Effekt erzeugt, gibt es nicht. 95%
aller angesprochenen Einzelheiten wurden in den öffentlich verfügbaren
Zeitungsartikeln, Pressemitteilungen und Webseiten bereits veröffentlicht.
Als persönliches Schlusswort möchte ich folgendes anmerken:
die Unterstellungen und Anschuldigungen gegen Personen, das nächtliche
Verfolgen eines Richters, die Überheblichkeit, mit der eine zu klein empfundene 5€-Spende
betrachtet wird, das Feiern einer großen Spende an die Autorin persönlich, die
negative Beschreibung eines kindlichen Mordopfers und seiner Lebensumstände,
das Negieren bzw. das Beschönigen von sexuellem Missbrauch durch Ulvi K., das
abwechselnde opportune Einspannen und Verachten der Medien – solche Dinge sind abstossend. Auch wenn moralisches Empfinden kein Kriterium sein darf, wenn es um eine Buchempfehlung geht, so sind die hier enthaltenen "Informationen" auf weiten Strecken eher einem Internetchat würdig als einem Druckerzeugnis.
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Liebe Leser,
Die Buchkritik endet hiermit.
Wer bisher durchgehalten hat, dem sei ein großes D A N K E S C H Ö N zugeraunt, in Sperrschrift wohlgemerkt.
Vielleicht mag sich Jemand ein eigenes Bild machen und unserer kritischen Auseinandersetzung widersprechen oder zustimmen? Wir überlegen uns, unser Exemplar des Buches zu verlosen.Dazu müssen wir aber erst die rechtlichen Voraussetzungen eines Gewinnspiels prüfen.
Falls es noch Fragen gibt zu der Buchkritik würden wir uns sehr darüber freuen. Solange das Buch noch in unserem Besitz ist beantworten wir das natürlich gerne.
Der nächste Blogbeitrag wird den Versuch starten, Frau Rödel einige konkrete Fragen zu stellen. Falls Euch da was auf den Nägeln brennt, her damit.