Samstag, 3. April 2021

Buchkritik Teil 3: Gudrun Rödel "Weggesperrt" 2021

 

Liebe Leser,
hier folgt also die Fortsetzung, dank Eurer ermunternden Kommentare


Inhaltliches (Fortsetzung)

Der Zeuge Hilmar K.

Die Autorin beschreibt ausführlich, wie sie nach dem Urteil in Lichtenberg in der Schlossklause (dem damaligen gepachteten Gasthaus von Ulvi K.s Eltern) einige Lichtenberger kennenlernte, die nicht an Ulvi K.s Schuld glaubten.

Einer davon ist der Zeuge Hilmar K., der von der Polizei als Zeuge geführt wurde. Auch seine Zeugenaussage wurde von der Polizei zum Unverständnis der Autorin verworfen.

 

Quelle: Weggesperrt,Gudrun Rödel (2021) Seite 21
 

 

Was aber ist dran an diesen Vorwürfen?

Bedauerlich ist zunächst einmal, dass die Autorin es versäumt, die Originalakten zu diesem Sachverhalt zu präsentieren. Eine „Zeugenaussage“ vom 14.9.2011, die erst über ein halbes Jahr später unterzeichnet wurde und uns nur in verstümmelter Form vorgelegt wird (ohne Dienststelle und Nennung der anwesenden Beamten) ist sicher die schlechteste aller Quellen. Zudem ist diese im Internet schon viele Jahre bekannt.

Im Einzelnen: Hilmar K. wohnte in der Kirchgasse und Ulvi K. sollte ihm auf seinem Weg zu Dieter T. eine Tasche mit Hasenbraten an die Haustüre hängen. Soweit der kleinste gemeinsame Nenner in den Aussagen. Wann und ob sofort oder erst später Ulvi K. das Essen ausgeliefert hatte ist völlig unklar.

Klar ist aber, dass Hilmar K. schon in seiner ersten Vernehmung ein Jahr nach der Tat eine Begegnung mit Ulvi K. am fraglichen Nachmittag in der Poststraße schilderte. Seine Aussagen wiesen Widersprüche auf, so legte er die Begegnung zeitlich zunächst auf 13.30 – 14.00 Uhr fest, konnte sich wenige Wochen später nicht mehr an die Uhrzeit erinnern und erkundigte sich schliesslich Ende Mai 2002 in einem abgehörten Telefonat bei Familie K. danach, für welche Uhrzeit denn Ulvi K. ein Alibi bräuchte, diese wollte er dann bei der anstehenden erneuten Vernehmung nennen.

Vergessen ist nichts Schlimmes, das ist menschlich und normal. Wenn ein Zeuge sich nicht mehr erinnern kann, dann ist das einfach so. Wenn ein Zeuge aber sich bemüht, einen Tatverdächtigen entlasten durch Informationen, die er nicht selbst erinnert, so ist die Zeugenaussage nutzlos.

So wirkt dann auch die Erzählung von schreienden Beamten und fehlerhaften Druckern und untergejubelten falschen Aussageprotokollen wie eine Mär zur „Selbstverteidigung“.  Dass das Gericht keine andere Wahl hatte und das Alibi durch diesen Zeugen nicht gestützt werden konnte wird geflissentlich übersehen.

So lautet das Fazit der Autorin nach dieser ersten Kneipenbegegnung in Lichtenberg:

 

Quelle: Weggesperrt,Gudrun Rödel (2021) Seite 22
 

 

Bemerkenswert ist, dass sich an den Gedanken in mittlerweile 17 Jahren und nach Studium sämtlicher Ermittlungsakten in Bezug auf ihren Schützling rein gar nichts geändert hat. Das wirkt wie eine Mission, in der nur Nützliches erfasst wird. Hinderliches wird gnadenlos aussortiert oder aber (und das ist das Schlimmere) in Vorwürfe gekleidet. Die Welt ist schwarzweiß: „ehrbare, gestandene Bürger“ auf der einen Seite, unantastbar, fehlerlos, die aus Solidarität Alibis bezeugen ohne sicher zu sein. Auf der anderen Seite Ermittler, die „nicht ganz unbekannten Personen“ Glauben schenken, die Zeugen manipulieren und einschüchtern.
So einfach kann die Welt sein.

 

Wir springen in der Zeit bzw. in dem Buch ein ganzes Stück. Die Schilderung, wie sich die Bürgerinitiative gegründet hat ist voll heroischer Selbstbeweihräucherung. Ein Kampf der Don Quichotte gerecht wird: Briefe an Ministerien, Demonstrationen, Spendenaktionen, Gedenkgottesdienste, Mahnwachen, Interviews, Filme, Hilfe bei einem Buch. Nichts blieb unversucht, um Unterstützung zu bekommen.

Dass das mitunter bedenkliche Ausmaße annahm möchte ich an einem Beispiel festmachen.

Seite 33/34 im Buch wird folgende Episode geschildert:

 

Quelle: Weggesperrt,Gudrun Rödel (2021) Seite 33/34
 

Spätestens jetzt sei die Frage gestattet, ob die Autorin wirklich noch erkennen kann, was „normal“ ist?

 

 

 

Seitenhiebe und Despektierliches

An vielen Stellen im Buch werden Personen durch Bemerkungen herabgewürdigt. Einige Beispiele wurden bereits genannt.

Warum die Autorin diese „Argumentation“ anwendet bleibt offen. Es wirkt fast so als sei sie mangels objektiver Beweise darauf angewiesen, das Bild derjenigen, die nicht an die Unschuld ihres Betreuten glauben, möglichst schlecht zu zeichnen.

Unerträglich wird es jetzt aber, wenn die Autorin sich über das kleine Mädchen und den Lebenswandel ihrer Mutter auslässt.

 

Quelle: Weggesperrt,Gudrun Rödel (2021) Seite 48

 

Peggy wurde ermordet und der letzte Ermittlungsstand geht nicht davon aus, dass ihre Familie etwas mit dem Verbrechen zu tun hat.

Den Lebenswandel von Frau Knobloch so auszubreiten ist zum einen unnötig und zum anderen völlig unbestätigt. Woher sollte die Autorin denn Einblick haben, wenn nicht über die Gerüchteküche?

Interessant ist, dass Ulvi K.s Eltern selbst laut dem Buch mehrere Ortswechsel hinter sich hatten und zudem auch eine multikulturelle Partnerschaft hatten. Mit einer Gastwirtschaft ist der Arbeitsalltag auch nicht beschränkt auf 9-17 Uhr, so dass hier Betreuungslücken auch auftreten können. Diese Gemeinsamkeiten hätten eine unterstützende Gemeinschaft erzeugen können. Stattdessen werden auf der einen Seite Merkmale zur Ausgrenzung und zur Herabwürdigung verwendet, die auf der anderen Seite toleriert werden.

Quelle: Weggesperrt,Gudrun Rödel (2021) Seite 49

Frau Knobloch soll hier eine Lüge nachgewiesen werden, die erstens so unbedeutend wie noch was ist und zweitens überhaupt keine Lüge sein muss. Denn 9jährige Mädchen ändern ihre Essgewohnheiten ständig und solange nicht klar ist, dass beide Aussagen sowohl von der besagten Familie als auch von Frau Knobloch denselben Zeitraum betreffen ist es sehr gut möglich, dass beide Aussagen zutreffen. Hieraus die Glaubwürdigkeit herabsetzen zu wollen ist nicht richtig, das fühlt sich ziemlich schäbig an.

 

Berufstätigkeit mit mehreren Kindern und zwei Elternteilen im Schichtdienst tätig – das alleine ist eine große Herausforderung für jede Familie. Hier hätte man sich als Leser eigentlich Empathie gewünscht, kein „Bashing“.

 

Quelle: Weggesperrt,Gudrun Rödel (2021) Seite 49

Frau Rödel sprach also mit dem damaligen Pfarrer und der lästerte über die Mutter eines verschwundenen Kindes. Wie krank ist jede einzelne Aktion hierbei? Gibt es wirklich Leser, die hierbei denken „die Mutter ist also selbst schuld am Tod ihrer Tochter“?

 

 

Die Ermittlungen

Interessant wird jetzt die Schilderung der Ermittlungen ab Seite 56.

Es ist ziemlich schwierig, bei dieser Fülle an Manipulationen noch Ordnung reinzubekommen.

 

Quelle: Weggesperrt,Gudrun Rödel (2021) Seite 56

Im oben gezeigten Abschnitt werden direkt zwei Falschmeldungen und eine subtile Andeutung platziert, die nahelegen sollen, wie einseitig die Ermittlungen liefen.

„Sehr auffällig gab… Peggys Mutter sofort Hinweis auf Ulvi“. Was ist daran auffällig? Ulvi K. hatte sich mit Peggy angefreundet und wie die späteren Ermittlungen ergaben hatte er sie mehrfach sexuell missbraucht. Frau Knobloch hatte ihrer Tochter den Umgang verboten. Mit dem Wissen um einen exhibistionistischen Dorfbewohner, der gerne Kinder um sich schart, wäre es doch eher auffällig gewesen, ihn nicht zu erwähnen. Warum also dieses „sehr auffällig“?

Das Alibi von Ulvi K. erschien auf den ersten Blick tatsächlich für die Ermittler glaubwürdig. Es bröckelte erst, als die Soko II knapp 1 Jahr nach Peggys Verschwinden die Alibizeugen noch einmal unter die Lupe nahm. In den vorangegangenen Teilen wurde schon geschildert, wie die Aussagen in sich zusammenbrachen.

Die dritte Falschbehauptung in dem kurzen Abschnitt betrifft dann Peggys Familie. Die wurde natürlich unter die Lupe genommen, zumal es einige Zeugenhinweise darauf gab, dass das Mädchen in die Türkei verschleppt worden war. Nach monatelangen Ermittlungen und einer vorübergehenden Verhaftung des Stiefvaters mussten die Ermittler diesen Ermittlungszweig jedoch aufgeben. Es gab keine verbleibende Spur, die einen Täter innerhalb des familiären Umfelds von Peggy nahelegte.

 

Ihr ahnt sicher schon den Duktus des Buches. Wir werden bei Interesse dennoch weitermachen und schauen, ob es nicht doch noch etwas gibt, was entweder den Begriff "Dokumentation" rechtfertigt oder neu ist in dem Sinn, dass eine Information objektiv und überzeugend ist, um juristisch relevant zu sein.

 

 

2 Kommentare:

  1. G. Rödels Vorwürfe werden hier sehr treffend widerlegt, man kann sich kaum vorstellen, dass sie über Frau Knoblochs spontanen Hinweis auf Ulvi K. verwundert ist. Bei G. Rödel wundert mich aber schon lange rein gar nichts mehr.

    Danke und bitte weitermachen! Ob eine objektive und überzeugende Information zu finden ist, wage ich fast zu bezweifeln.

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  2. Eine wertvolle Kritik, auch in Punkto Moral, die in diesem Buch den Opfern gegenüber ja vollends zu fehlen scheint.

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