Das System Geier
Der letzte Teil der Buchkritik endete mit dem Geständnis. Im Weiteren kommt die Autorin auf das versprochene systematische Vorgehen der Soko II zu sprechen, einen Unschuldigen zu überführen.
Sie schildert Geiers Antwort auf eine Frage eines Journalisten nach dem Geständnis folgendermassen:
Diese Antwort klingt zunächst logisch. Die Alibizeugen (siehe oben) konnten sich nicht erinnern oder waren bemüht, dem Tatverdächtigen ein passendes Alibi zu geben. Als diese Alibi-Zeugen also wegbrachen ergab sich ein mögliches Zeitfenster für die Tat und somit wurde in diese Richtung weiterermittelt mit dem Geständnis Anfang Juli 2002.
Man kann das aber auch ganz anders sehen, so wie es die Autorin gleich mitgibt:
Quelle: Weggesperrt, Gudrun Rödel (2021) Seite 66
Außer dieser persönlichen Interpretation des Geschehens bleibt die Autorin Belege schuldig. Dabei wäre hier konkret anzusetzen gewesen. Verbotene Vernehmungsmethoden hätten sicherlich schon früher als erst 2014 zu einem Wiederaufnahmeverfahren führen können. Sie spielten aber selbst dann keine Rolle. Dieser Vorwurf bleibt also unbelegt.
Damit endet das Kapitel, es werden weder Dokumente noch Aussagen noch Expertenmeinungen präsentiert. Es gibt keine Argumente, lediglich diese Interpretation.
Einen Dokumentationscharakter hatte auch dieses Kapitel nicht.
Die Anklage
Ab Seite 67 wird der Weg zur Anklage erläutert. Das Kapitel beginnt mit mehreren unbelegten und weitgehend suggestiven Vorwürfen:
Quelle: Weggesperrt,
Gudrun Rödel (2021) Seite 67
Gutachten einzuholen zu Themen, die den Richtern nicht
geläufig sind, ist Alltag an deutschen Gerichten. Gerade weil sich das Gericht „mit
der Glaubwürdigkeit des Geständnisses von Ulvi“ auseinandersetzen wollte und
das nicht nach Bauchgefühl, sondern mit wissenschaftlich ermittelten Erkenntnissen,
wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das als Fehlverhalten darzustellen kann nicht ernst genommen werden.
Das Ergebnis des Gutachtens von Professor Dr. med. habil. Hans-Ludwig Kröber schmeckte offensichtlich nicht. Bevor im Fortgang einige Details angesprochen werden (was eine sehr angenehme Abwechslung darstellt) wird mittels Ironie und Verleumdung gleich mal der Boden bereitet für die folgenden Schlussfolgerungen.
So hätte es Prof. Dr. Kröber auffallen müssen, dass 65 befragte Personen „den Beschuldigten an besagtem Ort“ nicht gesehen haben. Die Autorin verrät hier weder den Ort noch das Zeitfenster, so dass dieses Argument einerseits mindestens unvollständig ist. Andererseits ist das Nichtwahrnehmen einer Sache kein Beweis.
Weiter geht es mit einem Argument, das tatsächlich neu ist aber ebenso schwach: während Zeugen Peggy gesehen hatten mit dem Schulranzen auf dem Rücken sagte Ulvi K. aus, Peggy habe ihren Ranzen in der Hand gehalten.
Es geht weiter mit der Diskrepanz, dass Ulvi K. körperlich
nicht in der Lage gewesen sei, das Mädchen über 800m hinweg zu verfolgen. Trotz
der angeblich so langen Verfolgung hätte er den Ranzen nicht genau beschreiben können. Also muss das unwahr sein.
Ulvi K. habe Prof. Dr. Kröber einen Hinweis auf 2 konkrete
Ermittler gegeben, vor denen er Angst hatte und die ihm „was getan hätten“.
Hier wird die Autorin nicht konkret, es kann sein, dass es sich um die
angeblichen „Folter“-Gerüchte handelt, wonach ein Ermittler Ulvi K. im Bereich
des Nackens angefasst und ihm weh getan hätte. Diese Vorwürfe wurden 2005/2006
offiziell untersucht, das Verfahren im August 2005 eingestellt. Unter anderem
weil einer der Beschuldigten zum Zeitpunkt der angeblichen Misshandlung
nachweislich im Urlaub war. Jedenfalls wirft die Autorin dem Gutachter nun vor,
auf diese Hinweise Ulvi K.s nicht eingegangen zu sein.
Ihre Analyse:
Die Autorin verlässt wieder einmal die sachliche Ebene, um persönliche Befindlichkeiten zu verbreiten. Für die Leser ist nicht prüfbar, inwiefern Prof. Dr. Kröber hier nachhakte oder inaktiv blieb. Ebensowenig ist klar, inwiefern hier eine Verachtung seitens des Gutachters erkennbar ist.
Jedenfalls folgt nun ein weiterer Vorwurf:
Hiermit wird die Neutralität des Gutachters in Frage
gestellt. Ob berechtigt oder nicht bleibt offen. In der Öffentlichkeit wurde Anfang
2019 eine Klage auf Schmerzensgeld gegen Prof. Dr. Kröber bekannt. Es ist nicht
bekannt, ob diese Klage abgeschmettert wurde oder noch anhängig ist. Dieser Vorwurf
wäre also in jedem Fall unangebracht. Entweder es betrifft ein laufendes Verfahren oder aber an den Vorwürfen gegen ihn ist nichts dran.
Ein Punkt in der Anklage betrifft die Zeugen, die das
Mädchen noch am Abend ihres Verschwindens gesehen haben wollen. Es heisst dort „Aufgrund
umfangreicher Ermittlungen kann dies ausgeschlossen werden. Offensichtlich
wurde Peggy mit Kindern aus Lichtenberg verwechselt bzw. die Kinder irrten sich
in der Zeit bzw. im Tag ihrer Feststellungen“.
Leider sind Sichtungen von Vermissten auch nach ihrem Verschwinden resp. Tod ein sehr häufiges Phänomen. Dabei zeigen die Zeugen eine erstaunliche Sicherheit in ihren Aussagen. Ihr Gedächtnis hat diese Begegnung fest eingespeichert.
Wenn nun die Autorin davon spricht, dass die Lichtenberger
Zeugen „genau wissen, dass es Peggy war, die sie gesehen haben“, so stimmt das
nur insofern, dass die Zeugen sich sicher sind. Der Wahrheit muss dies nicht
entsprechen und nach allem, was seit dem Leichenfund im Sommer 2016 bekannt
wurde, hat Peggy den Nachmittag des 7. Mai 2001 nicht überlebt.
Nun gibt es einen Sprung zu einer Zeugenaussage, die tatsächlich sehr umstritten ist. Nach einem ganzen Jahr bestätigt die Zeugin plötzlich, Ulvi K. zur kritischen Zeit am Henri-Marteau-Platz gesehen zu haben. Nicht nur der späte Zeitpunkt dieser Aussage ist auffallend, sondern auch die Tatsache, dass zwischenzeitlich ihr eigener Sohn auch als einer der mehreren Dutzend Verdächtigen im Fall Peggy unter die Lupe genommen worden war. Es ist Manuel S., gegen denn erst kürzlich noch Ermittlungen geführt, im Herbst 2020 aber eingestellt wurden.
Das Kapitel „Anklage“ geht noch weiter mit 2 Punkten: dem Stein, über den Peggy gestolpert sein soll und der noch während der Ermittlungen plötzlich verschwand und dem Belastungszeugen Hofmann, der hier als absolut unglaubwürdig beschrieben wird. Dass Hofmann später 2010 als absolut glaubwürdiger Zeuge von Frau Rödel ins Spiel gebracht wurde zur Entlastung von Ulvi K., weil er mittlerweile seine Aussage zurückgezogen hatte, zeigt, wie pervertiert die Argumentation hier stattfindet. Je nach Aussagetenor ist Jemand glaubwürdig oder nicht.
Das ist leider eine der wenigen Konstanten in dem Buch.
Wer bisher drangeblieben ist, dem wird aufgefallen sein, dass die heute behandelten Vorwürfe sich auf sehr wenige Seiten konzentrieren. Da bleibt kein Platz für den versprochenen Dokumentationscharakter. Wo sind ausführliche chronologische Beweisführungen zu den einzelnen Vorwürfen? Was unterscheidet das Buch bisher von den bekannten hingeklatschten Vorwürfen auf der Homepage von http://www.ulvi-kulac.de/aktuelles ?
Bisher jedenfalls kann das Buch nicht verschleiern, ohne besondere Sorgfalt und enttäuschenderweise ohne juristische Sachkenntnis erstellt worden zu sein.
Das nächste Kapitel beschreibt den Prozess. Ob hier endlich eine systematische Struktur zu erkennen sein wird, die unschuldige Personen ohne den geringsten Anhaltspunkt wegsperrt und in Kauf nimmt, den richtigen Täter zu verschonen?
Wobei, wenn wir ehrlich sind, ist nicht einmal klar, ob ein Weitermachen lohnt oder ob vielmehr der richtige Zeitpunkt für ein Fazit gekommen ist.
Was meint Ihr, gibt es Fragestellungen in Bezug auf das Buch, die Euch im Besonderen interessieren?
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